Vier Monate (Achtung: TW)

Ich nutze jetzt gerade mal diese Zwischenzeit um zu schreiben. Gerade habe ich zu Abend gegessen und will mich gleich wieder ans Lernen machen.

Vier Monate gingen herum wie im Flug. Ich hatte das nicht erwartet, aber es ist tatsächlich soweit. Am Donnerstag war mein letzter offizieller Unitag in diesem Semester. Kommenden Freitag folgt noch eine Klausur und anschließend muss ich noch drei Hausarbeiten schreiben. Ich weiß, das ist eine Menge, aber ich schaffe das. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich mehrere Hausarbeiten schreiben musste. Das ist schon okay. Und dann ist mein erstes Jahr vom Master auch schon vorbei. Halbzeit. Krass. Anschließend folgt die Vertiefung. Anders als im Bachelor ist diese Vertiefung eine eher feste Sache und nur wenige machen Kurse aus mehreren Vertiefungen. Aus diesem Grund gehen viele von uns jetzt getrennte Wege. Ich freue mich tatsächlich auf das nächste Semester. Es wird anstrengend werden und ich musste meine relativ feste Entscheidung doch nochmal über Bord werfen. Tja, teilweise blöd, teilweise wumpe.

Eigentlich war es geplant, dass ich die Vertiefung „Pädagogisches Fallverstehen“ wähle. Ich hatte mit jemandem aus der Personalabteilung der Bundesagentur für Arbeit damals bei meinem Assessment Center gesprochen und er hatte mir nahe gelegt, ich solle in diese Richtung studieren und dann – statt über ein weiteres Studium bei ihnen – gleich den Direkteinstieg wagen. Das hatte ich mir als Ziel gesetzt. Naja, als erstes Ziel. Es haben mir genug Leute gesagt, ich solle mir das nochmal überlegen. Aber da es nicht meine Endstation sein soll, würde ich das vollkommen in Ordnung finden.

Nun ist es aber leider so, dass der Stundenplan für mich ein No Go darstellt. Ich werde weiter pendeln und kann es mir nicht vorstellen, dann so einen Pendler-unfreundlichen Wochenplan zu haben. Und wenn ich ehrlich sein soll… Obwohl mir die Methode relativ gut gefällt und ich qualitative Methoden generell lieber mache ( –> ich mag es, richtig mit Menschen zu reden, anstatt ihnen nur Fragebögen vorzulegen oder sie fest abzufragen), sprechen mich die Kurse nicht an. Fast alle beziehen sich auf die Objektive Hermeneutik. Heißt: in fast allen Kursen werden Dialoge Wort für Wort durchinterpretiert und dabei jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Ich kenne genug Menschen, die das so schon tun 😀
Wie dem auch sei, ich musste mich jedenfalls nochmal hinsetzen und mir alle Stundenpläne ansehen. Ursprünglich wollte ich „Erwachsenenbildung“ machen. Deren Stundenplan ist auch ein Traum. Aber nach dem Reinfall mit meiner Hausarbeit in dem Bereich muss ich zugeben, dass ich Angst davor habe, wieder zu verkacken. Ich bekomme ja im Moment schon Albträume, wenn ich an die kommenden Hausarbeiten denke. Auch in den anderen Vertiefungen müssen Hausarbeiten geschrieben werden, aber wenigstens nicht bei der Dozentin, bei der ich so verkackt habe. Dann gibt es in dieser Vertiefung noch zwei weitere Dozenten, wovon der eine mein alter Tutor aus dem Bachelor ist. Auch auf die Gefahr hin, dass ich aufgezogen werde, ich fühle mich total unwohl. Es ist einfach komisch von einer eher persönlichen Ebene auf die professionelle zu wechseln. Natürlich könnte ich das, aber das Gefühl bleibt, dass ich mich nicht wohl fühle.

Damit ist diese Vertiefung auch schon abgehakt. Als nächstes ist da eine Vertiefung, die meine Freundin wählt. „Berufs- und Betriebspädagogik“. Mein Bruder will unbedingt, dass ich das mache, damit ich anschließend als Coach bei ihm in der Firma arbeiten kann. Fragt mich nicht, warum er das will. Wir sind die meiste Zeit wie Hund und Katze. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er es genießen wird, wenn ich dann den gleichen Freundeskreis habe wie er. Vorteile wären da, würde ich tatsächlich genommen werden. Auch ein paar meiner Freunde arbeiten bereits dort. Unter anderem mein früherer bester Freund. Aber das bin ich nicht und kann es mir auch überhaupt nicht vorstellen. Die Dozenten sind vollkommen okay. Ich mag einige davon und auch die Studienleistungen, die wir bei diesen Dozenten erbringen mussten, sind vollkommen in Ordnung und können sogar Spaß machen. Aber es spricht mich nicht an und ich würde mir komisch vorkommen, das zu wählen. Als würde ich Leuten hinterherdackeln und auf eine Zukunft setzen, die eigentlich noch in den Sternen steht.

Und dann gibt es noch eine Vertiefung, die mir versucht wurde – so kam es mir jedenfalls vor – auszureden. Es geht um Kultur und Medien. „Claudia?!“ werdet ihr jetzt sagen. „Das ist doch genau deins.“ Naja, jedenfalls diejenigen von euch, die mich schon länger begleiten. Und tatsächlich bin ich das so sehr, dass es eigentlich lustig ist, dass ich darüber nachdenken muss. Beide Themenbereiche treffen mich mitten ins Herz und vereinen die zwei großen Punkte, aus denen ich bestehe. Diese Vertiefung wird vom Institut für Pädagogische Psychologie angeboten und vereint deswegen die beiden Bereiche über die Psychologie. Auch das stört mich überhaupt nicht. Auch nicht, dass ich doch noch Klausuren schreiben muss oder dass die vorgestellten Methoden eher quantitativ sind. Warum sollte mich das auch stören? Ich habe auch meine Bachelorarbeit im quantitativen Bereich geschrieben und gehörte zu den wenigen in meinem Bachelor, die ziemlich gut mit SPSS umgehen konnten. Es stört mich überhaupt nicht. Ich arbeite halt nur lieber mit Menschen direkt. Das ist alles. Ich hatte Mathe-LK, verfickt nochmal. Zahlen stören mich nicht. Ich finde es nervig, wenn mir solche Sachen unterstellt werden. Nur weil ich einmal gesagt habe, dass ich lieber Quali mache. Daraus wird einem sofort ein Strick gedreht.
Ein weiterer Punkt in dieser Vertiefungsrichtung ist ein Modul, welches sich mit Kunst beschäftigt. Auch daraus wurde mir sofort ein Strick gedreht, nachdem ich gesagt habe, dass ich damit nichts anfangen kann. Was auch die Wahrheit ist. Ich bin künstlerisch überhaupt nicht begabt und auf den ersten Blick erscheint mir dieses Modul eher wie eine Qual denn eine Freude. Auf den zweiten Blick – nämlich der Blick ins Vorlesungsverzeichnis vom jetzigen Semester – sieht das Modul aus wie etwas, was ziemlich genial sein kann, wenn man die richtigen Veranstaltungen wählt. Vielleicht nicht unbedingt relevant für die Zukunft, aber ziemlich genial, wenn man einfach mal was ausprobieren will. Und eventuell hat man dann noch die Gelegenheit auf eine Exkursion zu gehen. Nope, komme ich mit klar. Wir sprechen uns in einem halben Jahr, wenn ich jammere, dass meine Kurse scheiße sind.

Die Sache ist nur die, ich befasse mich schon länger mit den Vertiefungen und habe „Kultur- und Medienbildung“ von vornherein ausgeschlossen, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass es mir für meine Zukunft nutzen würde. Meine Zukunft war immer ein rotes Tuch und jedes Mal, wenn es prekär wurde, schlug meine Depression zu. Jetzt ist es aber so, dass im Lauf des letzten Semesters plötzlich Möglichkeiten aufgetaucht sind, die mir Freiheiten geben.
Ich habe einen wunderbaren Nebenjob, der mir Spaß bereitet und zu dem ich manchmal lieber hingehe als in die Uni. Ich habe mich überwunden und habe angefangen, Sport zu treiben. Seit vier Monaten habe ich vielleicht mal eine Woche ausgesetzt, weil es zu stressig wurde. Zwei Monate sind übrig und dann werde ich die nächste Sportart in Angriff nehmen. Ich sehe inzwischen in den Spiegel und sehe ein Mädchen, dass seinen Körper nicht mehr hasst oder eklig findet. Ich kann mich nackt im Spiegel ansehen und kritisch beurteilen, was ich noch vor mir habe, bin aber fest davon überzeugt, dass ich das schaffe. Ich bin verdammt stolz auf mich. Klar, da wäre noch das Thema Freunde, was mich immer mal wieder belastet. Ich hätte einfach so gerne eine beste Freundin/ einen besten Freund. Einfach wie früher. Das fehlt mir, aber ich weiß, dass ich Freunde habe, die mir helfen, wenn ich sie darum bitte. Und auch meine alten Freunde aus der Schul-/ ha! Kindergartenzeit sind noch da. Auch wenn wir uns nicht oft sehen, wir sind an diesen Abenden, an denen wir uns dann doch sehen, noch genauso eng wie früher. Und wenn ich nächsten Monat Jahrgangstreffen habe, brauche ich keine Angst zu haben, dass ich alleine und einsam dastehe. Ich freue mich riesig drauf. Erst am Donnerstag bin ich in eine alte Mitschülerin von mir gelaufen – im Fitnessstudio. Jetzt tauchen sie plötzlich alle auf. Jetzt, wo ich gekündigt habe! Wir haben uns ein paar Minuten einfach unterhalten. Es war einfach, locker und sie meinte, sie würde sich freuen, mich bald mal wieder zu sehen. Das hat mich wirklich gefreut. Also auch da geht es gut und mein Selbstbewusstsein steigt, sodass ich mich mit Leuten unterhalten kann. Gerade, wenn alle untereinander fremd sind, fällt es mir leicht, ins Gespräch mit anderen zu kommen.

Im vergangenen Semester fielen mir dann zwei Sachen in den Schoß. Zum einen die Möglichkeit eine Weiterbildung zur systemischen Beraterin zu machen. Dafür habe ich mir auch gleich was zukommen lassen. Man kann nie genug Informationen haben. Mit der Weiterbildung gehen Jobchancen in den Bereichen einher, die mich ansprechen.
Dann entdeckte ich im Internet noch etwas. Die Eröffnung einer Hochschule in meiner Nähe im kommenden Oktober. Nein, ich werde nicht meinen Vorsatz brechen, nicht noch drei Jahre zu verplempern und kein Geld zu verdienen. Aber trotzdem war ich neugierig und las dann, dass es sich hierbei um eine Fern-Uni handelt, die Präsenzveranstaltungen in meiner Nähe anbieten. Und sie bieten Sozial Arbeit berufsbegleitend an. Ich weiß, ich weiß. Das ist extrem anstrengend und wenn mir die Uni so schon manchmal zum Himmel stinkt wie soll das dann sein, wenn mir nicht jemand in den Arsch tritt, dass ich meine Arbeiten erledige. Ich kenne die Risiken, finde aber, dass das eine riesige Chance ist, die mir die Möglichkeit eröffnet, doch in die Richtung zu gehen, die ich mir wünsche und als staatlich anerkannte Sozialarbeiterin arbeiten zu können. Einfach diese Möglichkeit zu haben, ist für mich etwas sehr Wichtiges. Versteht ihr?

Nachdem ich endlich aus dem Loch herausgekommen war, erschien es mir wie ein Wunder, dass ich überlebt habe. Die Narben erinnern mich jeden Tag daran wie verdammt knapp es gewesen ist und dass es Menschen gibt, die nicht immer wohlwollend mit ihren Mitmenschen umgehen. Mir war sofort klar, dass ich nicht in der Lage sein würde als Psychologin jemandem zu helfen, aber das wollte ich irgendwie auch gar nicht. Ich wollte nicht auf diese Art Verantwortung für andere übernehmen, war mir doch klar, dass es womöglich immer ein Kampf für mich sein würde. An manchen Tagen würde ich mich traurig fühlen ohne zu wissen, warum. Manchmal würde ich wütend sein, obwohl nur eine Kleinigkeit passiert ist. Jedenfalls rechnete ich damit, dass meine Gefühle kippen könnten. Dass es heute nicht so ist, erleichtert mich natürlich sehr. Jedenfalls das mit der Wut habe ich deutlich besser im Griff als noch vor vier Jahren. Allerdings gibt es auch heute noch Tage, an denen ich morgens aufwache und traurig bin, mir nicht erklären kann, warum, aber es nicht abschütteln kann, obwohl ich mir sage, dass es keinen Grund gibt.
Das war mir auch damals schon bewusst. Aber ich wollte trotzdem Menschen helfen. Ich wollte Menschen, die nicht mehr wussten, was sie tun sollten, zeigen, dass sie doch mehr Optionen haben, als ihnen bewusst war. Ich wollte verzweifelten Männern, Frauen, Jugendlichen und Kindern nicht die Vergangenheit tot analysieren, sondern ihnen Wege in die Zukunft zeigen. Ihnen verdeutlichen, dass es weitergeht. Wenn ich jemanden gehabt hätte, der mir zur Seite gestanden hätte und rational mit mir die realen Optionen durchgegangen wäre, hätte ich vermutlich nicht all das getan, was ich getan habe. Gerade in der Adoleszenz sind wir so beeinflussbar, weil wir so verletzlich sind. Es gibt so schrecklich viele Entscheidungen, die unser gesamtes Leben beeinflussen können. Unsere Persönlichkeiten sind noch nicht derart gefestigt, dass es uns leicht fällt, unabhängig von anderen wichtige Entscheidungen zu treffen. Es zählt noch, was die anderen von uns denken. Was Freunde für cool halten, Eltern für richtig. Das alles ergibt ein einziges Wirrwarr und plötzlich steht man vor wichtigen Entscheidungen. Mir war eingeimpft worden, dass man sich richtig zu entscheiden hat und dann konsequent zu seinen Entscheidungen stehen muss. Dieses Denken resultierte am Ende darin, dass ich mich nicht traute, den Leuten um mich herum zu sagen, dass ich Fehler gemacht habe. Es resultierte darin, dass mich für Dinge entschuldigte, für die es keinen Grund gab. Ich war so verletzlich in einer Zeit, in der mich meine beste Freundin für eine andere im Stich ließ, meine Eltern zu viele andere Dinge im Kopf hatten und niemand sehen konnte, dass ich gerade falsch abbog. Mein ganzes Leben lang hatte ich immer wieder kleinere Probleme gehabt, die aber nie so ausarteten. Irgendwie regelte sich alles immer. Und dann eines Tages nicht mehr. Ich stand nicht mehr vor halb 12 auf, lernte nicht richtig fürs Abitur, weinte nachts um halb 4 statt zu schlafen, warf mir Tabletten ein, die einen beruhigen sollten und reagierte bei allem über. Die Verletzungen, die ich mir zuführte, schob ich auf das Übliche. Hängengeblieben, sich geratscht haben. Und die Stellen, die ich nicht hätte erklären können, waren sowieso nicht für jedermann sichtbar. Ich erinnere mich daran, dass mich jemand auf eine Verletzung am Handgelenk ansprach. Ich weiß nicht mehr, wer es war. Generell kann ich mich an diese Zeit nicht mehr richtig erinnern. Ich weiß, was passiert ist, aber es ist eher so, als würde ich aus einem fremden Tagebuch lesen statt mich an Geschehenes zu erinnern. Ich meine, es war ein Mädchen. Sie fragte mich, ob ich das selbst gewesen war. Ich weiß noch, dass sie es scherzhaft zu mir sagte, aber in ihren Augen Verunsicherung stand. In den Nächten zuvor hatte ich dieses Teil aus dem Maniküreset so oft über meine Haut gezogen bis sie aufgeritzt war. Ich weiß nicht einmal wie dieses Teil heißt. Vielleicht weiß Google das. Ich glaube, man entfernt die Nagelhaut damit. Es war der Vorläufer des Ritzens, bevor ich mich an echte Rasierklingen traute. Und sie hatte es bemerkt. Hatte bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Aber von meiner Erklärung ließ sie sich beruhigen und keiner fragte mehr danach.
Einige Zeit später registrierte eine alte Freundin in der Schule, dass ich rote Augen und tiefe Ringe darunter hatte. Sie fragte, ob alles okay mit mir war und ich sagte ja. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass so viele Leute im Raum waren. Ich weiß nicht, ob ich es ihr an einem anderen Ort unter zwei Augen anvertraut hätte. Wahrscheinlich nicht.
Es dauerte lange bis ich mir eingestand, dass etwas ganz und gar nicht mit mir stimmte. Mit ihr war es zum Spiel geworden, Diagnosetests zu machen. Wer die schlimmste Krankheit hatte, bekam die Aufmerksamkeit. Sie gewann natürlich immer, obwohl nichts der Wahrheit entsprach, außer vielleicht, dass sie nicht alle Tassen im Schrank hatte. Doch irgendwann wurde aus meiner Sehnsucht nach ihrer Aufmerksamkeit, in dem ich mir Diagnosen zuschrieb, bitterer Ernst und meine Diagnosen Realität. Als ich regelrecht um Hilfe bettelte, wurde sie mir verwährt. Ich sollte sie mir selbst holen, wenn ich sie brauchte. Jetzt sehe ich wie verängstigt meine Eltern waren. Ich weiß noch wie ich im Auto mit ihnen saß, weil wir meine Schwester abholen wollten und ich plötzlich anfing zu schreien, weil die Sonne meiner Haut weh tat. Ich war lichtempfindlich (kein Wunder, wenn man die meiste Zeit am Tag in einem abgedunkelten Zimmer verbrachte) und auch meine Haut fing an zu schmerzen. Ein nicht ganz so häufiges Symptom von Depressionen, das mit einer Hypochondrie gepaart war. Ich hatte panische Angst vor einer tödlichen Krankheit, obwohl ich die doch längst hätte. Selbst als ich den Entschluss gefasst hatte, mein Leben zu beenden, hatte ich noch immer Panik vor einer mich tötenden Krankheit. Was für eine Ironie.

Ich frage mich häufig, ob etwas anders gewesen wäre, wenn ich jemanden gehabt hätte, der wirklich daran interessiert war, mir zu helfen. Natürlich war meine Familie auch daran interessiert, aber sie waren vor Angst wie erstarrt. Ich hatte mir eine Krankheit eingefangen, die lieber tot geschwiegen wird. Für mich sah es dagegen so aus, als würden sie sich für mich schämen. Ich dachte, meine Eltern würden sich fragen, was die Nachbarn wohl sagen würden, wenn ich so etwas Verwerfliches tat wie mein Leben vorzeitig zu beenden. Dass ich ihnen entglitt und sie nicht wussten wie sie mich festhalten sollten, sah und verstand ich nicht. Und ehrlich gesagt war es mir egal. In dieser Zeit war ich ein furchtbarer Mensch. Ich war egoistisch und rachsüchtig. Ich wollte die Menschen büßen lassen, die sich meines Erachtens nicht genug um mich bemüht hatten. Ich wollte ihnen allen sagen, dass sie mich im Stich gelassen hatten. Nur ab und zu hatte ich melancholische Züge. Ich schrieb etwa 20 Abschiedsbriefe und in nur fünf von denen wünschte ich meiner Familie ein glückliches Leben. Ich war so ein furchtbarer Mensch und das Schlimmste ist, ich weiß nicht, ob ich dieses Mädchen überhaupt war. Ich weiß nicht, wo sie anfing und wo ich aufhörte. Ich war eine Marionette, wie eine vom Dämon besessene Puppe.

Wahrscheinlich bin ich ein Sonderfall. Aber ich denke, dass es viele Menschen gibt, die die Orientierung verloren haben und nicht mehr wissen, was richtig ist und was falsch. Und an dieser Stelle möchte ich stehen. Nach meinem Studium hatte sich dieser Gedanke nicht geändert und ich glaube, diese Möglichkeit zu haben, doch noch das zu studieren, was mein Herz gerne möchte, ist einfach eine Erleichterung. Eine Erleichterung, durch die ich bereit bin, in meinem jetzigen Studium nicht das zu wählen, was richtig für meinen zukünftigen Werdegang wäre (und wer weiß, ob das überhaupt stimmt), sondern endlich mal zu machen, was mich interessiert. Natürlich wäre das auch nicht für die Katz. Auf der Homepage steht „Die Vertiefungsrichtung soll Beratern, Gestaltern und Entscheidern im Bildungsbereich Kompetenzen darüber vermitteln, wie man Menschen in verschiedenen Entwicklungsphasen (von der Kindheit bis zum höheren Erwachsenenalter) zu einer kompetenten, d.h. zielführenden, effizienten und „gebildeten“ Teilhabe an einer kulturell, sprachlich und medial verfassten Gesellschaft verhilft.“ Für mich klingt das nicht so, als wäre es am Ziel vorbei. Im Gegenteil. Vielleicht ist es zum ersten Mal in diesem Master etwas, was ich wirklich will und auch gebrauchen kann.

Klingt doch erstmal gar nicht so übel, oder?